Innerhalb der Redaktion von HAINTZ.media besteht eine pluralistische und kritische Meinungsvielfalt. Gerade beim Thema Migration zeigen sich unterschiedliche Sichtweisen, die wir respektieren und offen widerspiegeln wollen. Nachdem meine Redaktionskollegin Janine Beicht in ihrem Beitrag „Die Debatte über Kriminalität und Migration“ auf dramatische Zahlen des Psychiaters Frank Urbaniok verweist, möchte ich mit diesem Gegenkommentar eine ergänzende Perspektive einbringen:
Klimakrise, Pandemien, Kriege – und aktuell besonders die Migrationsfrage – all diese Themen werden genutzt, um die Gesellschaft zu spalten und »Ängste zu schüren«. Auffällig ist dabei, dass aus meiner Sicht, selbst kritische Geister, die bei anderen Ideologien skeptisch bleiben, gelegentlich auf das Narrativ der gefährlichen Migration hereinfallen. Dieser Kommentar analysiert, wie Statistiken ohne ausreichenden Kontext instrumentalisiert werden, um politische Kontrolle zu legitimieren. Mein Plädoyer gilt einer differenzierten Debatte, die auf Fakten statt auf Ängsten basiert – denn oft scheint es, als habe das System für jeden – von links bis rechts – etwas parat, um uns zum Mitmachen und Mitspalten zu verführen.
Selektive Statistik – politische Deutung statt objektiver Wahrheit
»Die Zahlen des forensischen Psychiaters Frank Urbaniok« zeigen scheinbar „objektiv“, dass bestimmte Migrantengruppen massiv überrepräsentiert bei Gewaltdelikten sind – etwa Afghanen mit 723 % häufigeren gefährlichen Körperverletzungen oder Personen aus Gambia mit 2114 % mehr Sexualstraftaten als Deutsche. Diese Werte mögen rechnerisch korrekt sein, doch ihre Präsentation erfolgt nicht wertneutral. Wenn beispielsweise Afghanen mit einer Zunahme von 723 % häufiger als Deutsche bei Körperverletzung auftreten, klingt das zunächst dramatisch. Tatsächlich bedeutet dies jedoch, dass sich bei ohnehin niedrigen Ausgangswerten bereits kleine absolute Zahlen stark prozentual auswirken. Ohne eine genaue Betrachtung des Alters, Geschlechts oder der sozialen Herkunft dieser Gruppe erzeugen solche isolierten Zahlenbilder eine verzerrte und übertriebene Wahrnehmung. Statistiken werden hier zum politischen Kampfmittel: Hervorgehoben werden die dramatischsten Prozentzahlen, während Kontext fehlt. So bleibt unbeachtet, dass relative Prozente bei kleinen Bevölkerungsgruppen schnell astronomisch wirken. Auch strukturelle Faktoren – etwa Alter, Geschlecht oder soziales Umfeld der Tatverdächtigen – blendet man leicht aus, wenn der Fokus allein auf der Herkunft liegt. Diese selektive Datennutzung erinnert an die Frühphase der Corona-Testpandemie, als Medien täglich steil steigende »Infektions- und Todeszahlen präsentierten«, aber selten erklärten, wer „an“ oder „mit“ dem Virus starb. Bekanntlich führte dieser Overkill an rohen Zahlen zu verzerrter Wahrnehmung und schürte „gefährliche Angst“. Daten sprechen eben nie für sich allein – ihre Interpretation folgt politischen Narrativen.
Angsterzählungen mit bekannten Mustern
Natürlich gibt es Straftaten, die von Zuwanderern begangen werden, und diese müssen mit aller Konsequenz aufgeklärt und sanktioniert werden. Doch greifen (alternative) Medienberichte oft auf altbekannte herrschaftsbasierte Angsterzählungen zurück: die gefährlichen Fremden, vor denen uns nur ein starker Staat schützen kann. Solche Narrative folgen dem Muster „Problem – Bedrohung – Lösung“ und wiederholen Mechanismen, die wir aus der Corona-Diktatur kennen. Damals war es der Virus, dann die Ungetesteten und später die Ungeimpften, heute sind es kriminelle Migranten. In beiden Fällen wird dramatisiert und verallgemeinert, um in der Bevölkerung ein Gefühl akuter Bedrohung zu erzeugen. Wir erinnern uns: Während der Testpandemie wurde die Öffentlichkeit in „Verständige“ und „Unbelehrbare“ gespalten, begleitet von pädagogischem Eifer, Angstmacherei und moralischer Verdammung der Abweichler. Schon 2021 sprach der damalige Gesundheitsminister von einer „Pandemie der Ungeimpften“ – eine Kampagnen-Parole, die medial kaum hinterfragt und zur Rechtfertigung harter Maßnahmen genutzt wurde. Ähnlich erleben wir jetzt eine stark emotionalisierte Kriminalitätsdebatte, in der extreme Einzelfälle (z. B. Messerangriffe) verallgemeinert als allgegenwärtige Gefahr dargestellt werden. Das schürt diffuse Angst vor „Migranten mit niedrigem Humankapital“ in der Bevölkerung. Und Angst war schon immer ein schlechter Ratgeber – aber ein nützliches Werkzeug für machtorientierte Politik.
Sicherheitsversprechen: Mehr Kontrolle als Déjà-vu
Das erzeugte Unsicherheitsgefühl fordert politische Konsequenzen – und diese führen regelmäßig zu Forderungen nach mehr Kontrolle und Überwachung, wie wir es aus der repressiven Pandemiesimulation kennen. Uns werden Grenzschließungen, verstärkte Polizeipräsenz, Überwachung im öffentlichen Raum als konsequente Antworten nahelegt, folgt jedoch der herrschenden Logik „mehr Kontrolle für mehr Sicherheit“. Dieses Sicherheitsversprechen kennen wir nur zu gut: Damals rechtfertigte der Repressionsapparat beispiellose Grundrechtseinschränkungen mit dem Verweis auf den Gesundheitsschutz. In einem jahrelangen Ausnahmezustand wurden Versammlungsfreiheit, Bewegungsfreiheit und viele Bürgerrechte massiv beschnitten – die Exekutive legte die Samthandschuhe ab und zeigte eine eiserne Faust. Diese beispiellosen Eingriffe sind ein gefährliches Erbe. Nun, in der Sicherheits- und Kriminalitätsdebatte, droht eine ähnliche Entwicklung: Medien und Politik bereiten „schleichend die Akzeptanz« für einen ausgedehnten Überwachungs- und Kontrollstaat vor. Wieder werden Vorschläge wie anlasslose Polizeikontrollen in Fußgängerzonen, flächendeckende Videoüberwachung und Gesichtserkennung laut. Wieder soll aus Angst vor einer Bedrohung ein Sicherheitsregime ausgebaut werden. Der Preis dafür wären erneut Freiheitsrechte und rechtsstaatliche Prinzipien. Es ist das alte Spiel: Unsere Freiheit, im Sinne von Handlungsmöglichkeiten, wird zugunsten eines trügerischen Gefühls absoluter Sicherheit relativiert.
Sündenböcke und Diskursverschiebung
Auffällig ist, wie stark sich die Debatte auf bestimmte Nationalitäten konzentriert: Afghanen, Syrer, Nordafrikaner – sie stehen am Pranger der Kriminalitätsstatistik. Diese gezielte Zuspitzung auf „fremde“ Täter verschiebt den Fokus weg von sozialen Ursachen hin zu kulturellen Stereotypen. Eine Studie der Universität Münster, auf die sich der Artikel „Die dunkle Wahrheit – Radikale Muslime in Millionenzahl“ bezieht, liefert in ähnlicher Weise alarmierende Zahlen – aus meiner Sicht vor allem, um die Vorstellung einer weitreichenden muslimischen Radikalisierung in Deutschland zu zeichnen. Grundlage der Darstellung ist eine bislang noch nicht vollständig veröffentlichte Untersuchung der Universität Münster unter Leitung des islamischen Theologen Prof. Mouhanad Khorchide. Sie beschäftigt sich mit emotionalen Dispositionen, die Radikalisierungsprozesse begünstigen könnten. Demnach zeigten rund 20 % der befragten Muslime – hochgerechnet etwa eine Million Menschen – sogenannte „Ressentiments“: eine Mischung aus subjektiver Kränkung, antiwestlichen bzw. antisemitischen Feindbildern und mangelnder Selbstkritik, die die Forscher als potenziellen Nährboden für Radikalisierung einstufen.
Die Studie liefert durchaus wertvolle Hinweise auf bislang wenig beachtete Faktoren der Radikalisierungsanfälligkeit. Allerdings wird in vielen Medienberichten – wie in dem genannten – der wichtige Unterschied zwischen einer inneren Disposition zur Radikalisierung und tatsächlichem Extremismus nicht klar genug herausgestellt. Begriffe wie „radikale Muslime“ suggerieren bereits bestehende Gewaltbereitschaft, obwohl die Studie primär emotionale Anfälligkeit untersucht, nicht konkrete radikale Handlungen. Diese verkürzte und alarmistische Darstellung entspricht einem Muster, in dem wissenschaftliche Erkenntnisse instrumentalisiert und dramatisiert werden, um diffuse Ängste zu schüren. »Rechtskonservative Medien« sprechen gar von einer „Untergrundarmee“ und konstruieren damit ein pauschales Bedrohungsszenario, das weit über die tatsächlichen Befunde hinausgeht.
Statt differenzierter Analyse entsteht somit ein verzerrtes Feindbild, das Millionen von Menschen pauschal als potenzielle Gefahr darstellt und reale soziale, politische und wirtschaftliche Ursachen von Radikalisierung und Kriminalität ausblendet. Dieses Sündenbock-Narrativ folgt dem altbewährten Prinzip „Teile und herrsche“: Man kanalisiert den Unmut der Bürger auf eine klar umrissene Außengruppe. In der Testpandemie waren es die Ungeimpften, nun sind es vermeintlich integrationsunwillige oder radikalisierte Muslime. In beiden Fällen wird eine heterogene Gruppe pauschal verantwortlich gemacht – und die Gesellschaft in „Wir“ und „Die“ gespalten.
Besonders problematisch ist dabei die mediale und politische Vorab-Skandalisierung von bislang unveröffentlichten, nicht vollständig geprüften Studienergebnissen. Noch bevor die Fachwelt die Münsteraner Studie diskutieren konnte, wurden selektiv alarmistische Auszüge verbreitet, um politische Forderungen nach härteren Maßnahmen und Überwachung zu legitimieren. Dadurch entsteht der Eindruck einer massiven akuten Bedrohung, der sachlich nicht gedeckt ist. Solche Diskursstrategien lenken gezielt von gesellschaftlichen Ursachen ab, etwa struktureller Diskriminierung, fehlender sozialer Integration und mangelnden Bildungschancen, die nachweislich einen Nährboden für radikale Einstellungen bieten.
Gerade weil die Studie auf reale Problemlagen hinweist – nämlich auf mögliche Radikalisierungsfaktoren wie erlebte Diskriminierung, soziale Ausgrenzung oder Identitätskonflikte –, sollten deren Ergebnisse ernst genommen, aber nicht für pauschale Verdächtigungen instrumentalisiert werden. Eine sachliche Debatte müsste differenziert fragen, wie gesellschaftliche Missstände angegangen und präventive Maßnahmen umgesetzt werden können, statt sofort nach repressiven Konsequenzen zu rufen.
Eine alarmistische Darstellung ignoriert zudem, dass die überwältigende Mehrheit der Muslime in Deutschland friedlich lebt und sich nicht radikalisiert. Eine differenzierte Analyse würde deutlich herausstellen, dass es primär darum gehen muss, präventiv zu handeln und innerislamische Reflexionsräume zu schaffen, um Ressentiments und Radikalisierungspotenziale frühzeitig zu adressieren.
So zeigt der Diskurs um die Münsteraner Studie deutlich, wie schnell legitime Sicherheitsfragen zu alarmistischen Sündenbock-Narrativen verdreht werden können, wenn Medien und politische Akteure selektiv Zahlen ohne Kontext verbreiten. Ziel muss es daher sein, Studienergebnisse besonnen und vollständig einzuordnen, statt durch alarmistische Verkürzungen gesellschaftliche Spaltungen weiter anzutreiben.
Auswege aus dem Angstkreislauf
Statt auf Angstmache und Kontrolle zu setzen, braucht es langfristige Lösungen, die weder die einheimische Bevölkerung noch Zugewanderte unter Generalverdacht stellen. Weder lässt sich eine Pandemie (simuliert oder echt) durch reinen Zwang „wegimpfen“, noch lässt sich Kriminalität durch Abschreckung allein aus der Welt schaffen. Nachhaltige Sicherheit erwächst aus sozialer Stabilität und einer offenen, aufgeklärten Gesellschaft. Aus dieser Perspektive ergeben sich beispielsweise folgende Ansatzpunkte:
- Demokratie und Rechtsstaat stärken
Demokratie und Rechtsstaat müssen gerade in Krisen gestärkt werden, indem politische Teilhabe für alle gewährleistet und Minderheiten vor Diskriminierung geschützt werden. Offene Debattenräume ohne Angst vor Stigmatisierung und umfassende Informationsfreiheit sind essenziell, damit Bürger politische Maßnahmen kritisch hinterfragen und Manipulationen vorbeugen können. Demokratie lebt von Offenheit, Ehrlichkeit und freier Meinungsbildung – besonders in schwierigen Zeiten. - Soziale Gerechtigkeit und Prävention
Kriminalität hat oft soziale Ursachen wie Benachteiligung und Perspektivlosigkeit. Derzeit wird allerdings viel zu wenig in Bildung, Schulen, Ausbildung und soziale Infrastruktur investiert. Statt Milliarden für Militär und Rüstung bereitzustellen, braucht Deutschland dringend ein umfassendes Investitionsprogramm, das Zukunftschancen für alle Bürger schafft. Durch soziale Sicherheit und gerechte Chancen sinkt das Gewaltpotenzial langfristig deutlich stärker als durch repressive Maßnahmen. - Medienkritische Bildung
Die Bevölkerung braucht systematische Medienkompetenz, um manipulative Berichterstattung zu erkennen. Verpflichtender medienkritischer Unterricht, öffentliche Workshops und unabhängige medienpädagogische Initiativen könnten dies erreichen. Gleichzeitig muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk vollständig unabhängig von politischem Einfluss agieren. Seine Aufgabe ist es, Regierungshandeln kritisch zu hinterfragen und transparent zu informieren. - Kommunen stärken, Demokratie vor Ort beleben
Kommunen dürfen mit den Folgen der Migrationspolitik nicht allein gelassen werden. Sie benötigen eine verbindliche Mitwirkung bei politischen Entscheidungen, etwa durch stärker institutionalisierten Dialog zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Eine verlässliche finanzielle Unterstützung muss zudem sicherstellen, dass Wohnraum, Schulen und soziale Infrastruktur angemessen ausgestattet sind. Lokale Integrationsräte oder Bürgerforen könnten vor Ort zusätzlich helfen, Konflikte zu entschärfen und demokratische Beteiligung zu fördern.
Zwischen Sicherheit und Freiheit
Letztlich geht es darum, Sicherheit und Freiheit in einem ausgewogenen Verhältnis auszubalancieren. Weder eine Gesundheitspolitik der Angst noch eine Migrationspolitik der Panik dürfen uns zu einer Gesellschaft führen, die vor lauter Sicherheitsbedürfnis verbliebene Grundfreiheiten opfert. Wir müssen kritisch hinterfragen, wie Studien und Statistiken instrumentalisiert werden, und dürfen politische Narrative nicht unreflektiert übernehmen. Ja, es braucht eine Debatte ohne Scheuklappen über Kriminalität in Zusammenhang mit Migration – aber eben genau ohne die Scheuklappen der Angst. Nur mit einem kühlen Kopf, gestützt auf Fakten und Menschlichkeit, lassen sich Lösungen finden, die weder Opfer noch Migranten pauschal unter Generalverdacht stellen. Unsere Erfahrungen der letzten Jahre mahnen uns, wachsam zu sein: Lassen wir nicht erneut einen Ausnahmezustand zu. Dieser fängt immer in unseren Köpfen an.
Verantwortung für Fluchtursachen
Wenn über Kriminalität im Zusammenhang mit Migration debattiert wird, darf sich der Blick nicht ausschließlich auf Straftaten richten, die hierzulande geschehen. Vielmehr müsste ebenso konsequent über jene Kriminalität gesprochen werden, die die Fluchtursachen überhaupt erst erzeugt. Diese Perspektive wird jedoch meist bewusst ausgeklammert. Denn wir sind in diese globale Ungerechtigkeit unmittelbar involviert: Unser Wohlstand beruht vielfach auf der Armut und Ausbeutung anderer Regionen der Welt. Die intensive Beschäftigung mit den Ursachen von Migration – seien es Kriege, wirtschaftliche Ausbeutung oder Umweltzerstörung – könnte Verständnis und Empathie für die betroffenen Menschen fördern. Dies würde jedoch die künstliche Spaltung zwischen den ohnehin unterdrückten Bevölkerungsgruppen hier und dort überwinden, was politisch nicht gewollt ist. Schließlich beruht die Macht der Herrschenden genau auf dieser Spaltung und dem gegeneinander Ausspielen der Benachteiligten. Ein Ende der Spaltung wäre daher zugleich eine erhebliche Schwächung ihrer Macht.